Bonneville 2005
Wir sind mit Don und Sonny nach Wendover gefahren, 750 Meilen am Stück, nur von kurzen Tankpausen unterbrochen.Don ist unermüdlich hinter dem Steuer - ich bin ein paarmal eingeschlafen. Früh morgens sind wir durch Las Vegas gefahren - für mich ist diese Stadt keine Attraktion, zuviel Beton und immer nur auf der Jagd nach dem Geld der Gäste.
Gegen 11 Uhr vormittags kamen wir dann in Wendover an und sind raus auf den Salzsee gefahren. Hier trafen wir Max und die anderen Leute aus unserer Vincent Gruppe. Tags darauf wurde das Lager aufgebaut und das Motorrad fertig gemacht für meine erste Fahrt. Ich war sehr nervös vor dem Start und versuchte, mich auf die Fahrt zu konzentrieren. In Gedanken bin ich wohl hundertmal die Schalter und Knöpfe im Cockpit durchgegangen - ich wollte es schließlich richtig machen! Don hat mich in den Rennanzug gepackt und zusammen mit Marc im Cockpit festgeschnallt. Hauptschalter, Zündung, Benzinpumpe an und dann das Cockpit zu - ich bin allein hier drin und fühle mich nicht sehr gut. Ich bekomme das Signal, die Bremse zu treten und irgendjemand startet den Motor. Ich spiele ein wenig mit dem Gashebel um die Motoren am Laufen zu halten. Durch die Vibrationen kann ich fast nichts sehen, ich hebe den Helm vom Polster, nun wird die Sicht besser. Max steht neben dem Motorrad und gibt mir das Zeichen zum Start. Also gut - versuchen wir unser Glück!
Ich gebe Gas und der Liner setzt sich in Bewegung, zuerst langsam aber dann immer schneller, da die Kupplung die steigende Drehzahl ab 2500 U/min unerbittlich in Vortrieb umsetzt. Der Liner lehnt immer noch auf einer der Stützkufen. Ich versuche, ihn aufzurichten, es gelingt mir nicht, da ich sofort über die Senkrechte auf die andere Seite kippe. Die Drehzahl liegt mittlerweile bei 3000 U/min, also ca 180 km/h und ich versuche erneut, das Fahrzeug aufzurichten. Nach kurzer Fahrt auf den Rädern kippe ich wieder auf die andere Seite. Letztes Jahr bei meinen Versuchsfahrten ging das doch ganz einfach - was ist bloß dieses Jahr mit mir los? Ich kanns nicht, ich werde nie einen Rekord brechen...
Ich steigere auf 4000 U/min, ca 240 km/h, die Strecke wird sehr schmal, ich habe alle Hände voll zu tun, das Gefährt zwischen den Markierungen zu halten und kann es doch nicht auf die Räder zwingen. Ich pendel von einer Kufe auf die andere, nehme Gas weg, versuche es erneut aber wieder ohne Erfolg. Plötzlich gibt es einen lauten Knall hinter mir, der Liner bricht ruckartig nach links aus, ich steuere gegen und merke während mein Helm gegen den Überrollbügel knallt, daß die Motoren aus sind. Scheiße - habe ich die Motoren verheizt? Soviel Arbeit und Geld steckt in diesem Motorrad und der Idiot aus Deutschland zerlegt die Fuhre auf der ersten Fahrt!
Der Liner segelt mittlerweile unter 45 Grad zum Rennkurs nach links, mit sehr viel Neigung nach rechts und ich kann nichts tun außer abwarten, was als nächstes passiert. Nichts, wir drehen eine Pirouette und kommen zum Stillstand.
Völlige Stille, ich schalte alle Schalter aus und horche nach hinten, falls es brennt, muß ich sehr schnell raus hier. Kein Geräusch zu hören, ich schnalle den 6-Punktgurt los und öffne das Cockpit. Mit Erstaunen stelle ich fest, daß die Nase des Liners nun Richtung Start zeigt! Die Bremsfallschirme sind auch beide draußen. Ich steige aus und sehe, daß die hintere Verkleidung im Bereich des Hinterrads zerbrochen ist, alle anderen Schäden bleiben unter der Verkleidung verborgen. Es riecht nach verbranntem Öl.
Mittlerweile ist die Ambulanz und Feuerwehr auch schon da, ich gebe ihnen "Daumen hoch" als Zeichen, daß mir nichts passiert ist. Max und John sind die ersten aus unserer Gruppe, die dazukommen und fragen, was passiert ist. Ich sage, ich weiß es nicht genau, aber vermutlich sind die Motoren explodiert. John sieht als erster das platte Hinterrad und vermutet, ich hätte durch zuviel Durchdrehen des Rades den Reifen ruiniert. Die Transportmannschaft ist mittlerweile auch mit dem Hänger angekommen und beginnt, das Motorrad aufzuladen. Hier stellen wir fest, daß das Hinterrad sich in seine Bestandteile zerlegt hat - die Felge ist in zwei Hälften zerbrochen.
Zurück im Fahrerlager wird die Verkleidung entfernt und der Schaden begutachtet. Wir drehen die Motoren durch und stellen zu meiner Erleichterung fest, daß alle 4 Zylinder volle Kompression haben, der Geruch von verbranntem Öl waren wohl nur ein paar Tropfen auf dem heißen Auspuff. Das Hinterrad wird ausgebaut und der Grund für den Schaden ist gleich gefunden. Irgendein Vorbesitzer des Rads wollte die beiden Felgenhälften mit einem O-Ring abdichten und hat eine Nut in das Aluminium gedreht. Hierbei wurde das Material zu stark geschwächt. Zum Glück ist das Malheur bei relativ niedriger Geschwindigkeit passiert.
Da Max noch ein zweites Hinterrad dabei hat, können wir den Schaden reparieren. Die Verkleidung wird mit untergelegtem Blech und Blindnieten wieder in Form gebracht. Nachdem das neue Rad drin ist, können wir auch die Motoren wieder starten. Zur großen Freude aller brüllen sie wie eh und je! Das Motorrad ist mit einem Quecksilberschalter ausgerüstet, der die Zündung unterbricht und die Fallschirme auslöst, sobald das Fahrzeug außer Kontrolle gerät.
Ich finde auch heraus, warum das Lenkverhalten so schlecht war - das Stickstoffsystem war nicht aufgedreht, da ich nicht schalten sollte in meinem ersten Lauf. Wozu auch, der Liner fährt 375km/h bei 6500 U/min im ersten Gang! Daher ist der Liner tiefer auf den Kufen und mit dem zu stark eingestellten Lenkungsdämpfer ist eine schnelle Korrektur nach Aufrichten nicht möglich.
Am nächsten Morgen macht Don einen Lauf, leider kommen die Fallschirme zu früh raus und die erzielte Geschwindigkeit ist nicht erwähnenswert.
Wir packen die Fallschirme etwas fester und verstellen den Lenkungsdämpfer für meine nächste Fahrt auf die schwächste Stufe. Kurz nach dem Start, diesmal mit aufgedrehtem Stickstoffsystem bekomme ich den Liner auf die Räder und kann voll beschleunigen. Na also, es geht ja doch! 4000, 5000, 6000 Umdrehungen - das wird ein guter Lauf! Kurz vor der gezeiteten Meile komme ich etwas vom Kurs ab und muß das Gas zurücknehmen, der Liner wird sehr unruhig und ich kann ihn nicht auf den Rädern halten. Auch die Fallschirme werden wieder ohne mein Zutun abgeschossen. Dabei fliegt einer der Kolben ebenfalls aus dem Abschußrohr, wir finden ihn zum Glück wieder und haben noch etwas mehr Arbeit abends.
Aufgrund meines Fahrberichts wird nun der Dämpfer auf Stufe 3 gestellt, damit kommen Don wie auch ich gut zurecht. Dons nächster Lauf ergibt ca 240 km/h durch die Lichtschranke, er schleppt die geöffneten Bremser hinter sich her! Also wieder das gleiche Problem mit vorzeitigem Fallschirmabschuß. Mein nächster Lauf ist mit dem gleichen Problem "gesegnet", ich schleppe die Dinger durch die Zeitnahme und komme nicht auf Tempo.
Don kommt mittlerweile immer besser zurecht und kann 273km/h im nächsten Lauf vorlegen, diesmal kommen die Schirme zwar auch von allein heraus aber erst gegen Ende der Meile.Da er in den zweiten Gang geschalten hat, könnten die Schirme dadurch vielleicht abgeschossen werden? Wir vermuten ein Elektrikproblem und testen den Liner mit aufgebocktem Hinterrad. Mit laufenden Motoren werden die Gänge durchgeschalten, die Schirme bleiben jedoch drin! Mein nächster Lauf ist auch nicht besser, ich komme vor der gezeiteten Meile gut auf Tempo um dann innerhalb der Lichtschranken von den Schirmen gebremst zu werden. Wir entfernen die Magnetspulen von den Flintenabzügen und hoffen, daß das Problem jetzt beseitigt ist. Don fährt wieder, kommt jedoch nicht richtig zurecht und liefert keine neue Bestleistung. Mein nächster Lauf wird etwas besser - ich komme wieder auf ordentliches Tempo und will direkt vor der gezeiteten Meile in den zweiten Gang schalten, der Gang springt aber sofort beim Gasgeben wieder raus - viermal geht das so und die Geschwindigkeit sinkt jedesmal etwas weiter ab. Zurück in den ersten kann ich nicht, daher beträgt meine Geschwindigkeit nur noch 241km/h auf den fliegenden Kilometer und 233 km/h auf die Meile - schade.
Die Getriebeschaltung ist etwas verbogen, mit wenigen Handgriffen ist alles wieder in Ordnung. Die Flinten der Fallschirme betätigen wir nur noch mit der manuellen Ausrückung - trotzdem ist einer der Schirme noch zu früh gekommen.
Max sichert den Ausrückhebel mit Draht für Dons nächste Fahrt - hilft nicht viel, da ein Schirm wieder zu früh losgeht. Wir haben erfahren, daß Donnerstag das Meeting beendet wird - es ist Donnerstag und wir konzentrieren uns auf Don als Fahrer - er ist erfahrener und sicherer wie ich und wenigstens eine gute Zeit wollen wir schon hinlegen.
Dons nächster Lauf gibt uns neue Arbeit - die Spannrolle vom Kompressorantrieb bricht - trotzdem noch 286km/h.
Ich sichere für den letzten Lauf des Tages die Flintenabzüge mit Gummiband, da ich vermutet habe, daß die Hemmung im Abzug zu schwach ist bei den Vibrationen. Die Spannrolle für den Zahnriemen wird provisorisch am Rahmen des Motorrads befestigt und Don kann nochmal fahren.
Alles klappt wunderbar, Don beschleunigt herrlich, ich kann ihn deutlich schalten hören, der Liner verschwindet aus der Sicht und wir sind auf den CB Funk des Veranstalters angewiesen. 212,8 mph oder 340,5 km/h tönt es aus den Lautsprechern. Viel mehr war bei dem kurzen Anlauf nicht drin!
Max und das ganze Team sind glücklich - die harte Arbeit ist belohnt worden. Die Motoren sind auch nach 10 Läufen in bester Verfassung. Mit längerem Kurs oder kürzerer Übersetzung können wir jederzeit schneller fahren. Nächstes Jahr werden wir es wieder versuchen - ein paar technische Änderungen und hoffentlich Glück mit dem Wetter werden uns dem Rekord ein gutes Stück näher bringen.